Ein einsamer Schwan im Frühling
Nun ist es endlich Frühling geworden!
Bei schönem Wetter mache ich jetzt jeden Tag einen Spaziergang durch den
nahen Park von Neu Venedig. Man merkt es, riecht es, fühlt es förmlich: Die
Natur ist aus ihrem Winterschlaf erwacht! Die Sonne hat das Eis des Winters
schmelzen lassen, überall beginnt es zu grünen und zu sprießen, die
knospenden Blätter der Bäume und Sträucher kommen langsam hervor ... Alles
ist in Bewegung geraten - sogar die Fische im Kanal springen lustig nach
Mücken schnappend in die Luft.
Auch die Vögel sind schon bei der Balz und rufen sich lockend und singend
einander zu. Es ist immer wieder schön, ihrem Gesang zuzuhören, der
besonders früh am Morgen überwältigend tönt. Etliche Zugvögel mischen auch
schon in dem Chore mit. Ich muss nun langsam an meiner Vogel-CD lauschen und
vergleichen, um zu wissen, wer all die munteren Sänger sind.
In den hohen Schwarzpappeln neben meiner Wohnung jagen die Eichkätzchen sich
in den Kronen der Bäume wie toll von Ast zu Ast. Auch ein Maulwurf regt
sich: Neben der Parkbank, worauf ich sitze, bringt er Erdhügel nach Erdhügel
empor. Enten haben sich zu Pärchen gefunden, und ein Enterich schwimmt zu
meinen Füßen
ganz verliebt neben seiner Ente dahin.
Eine schwarze Ralle mit weißem Köpfchen rudert ganz allein auf dem Wasser
herum; sie hat noch keinen Partner gefunden. Seit Tagen beobachte ich
während meines Spazierganges auf dem Wasser des Kanals, der zum nahen See
führt, auch einen einsamen weißen Schwan. Er sieht so traurig aus - wer
weiß, welchen Kummer er hat. Schwäne bleiben doch ein Lebtag lang einander
treu. Hat vielleicht sein Gefährte den Winter nicht überlebt?
Ich werde in den nächsten Tagen auf meiner Lieblingsbank am Wasser diesen
beiden zur Zeit noch einsamen Tieren fest die Daumen drücken, auf dass auch
sie bald einen Partner finden und den Frühling gemeinsam erleben können.
Lydia Radestock, im März 2004 |