Überfall auf ein Vogelnest

Von meinem Wohnzimmerfenster in Neue Mühle aus kann ich die Bäume des gegenüberliegenden Parks gut beobachten. Sie sind jetzt im zeitigen Frühjahr voller Leben.

Zwischen dem 22. und 27. März sah ich zum Beispiel, dass in einer Astgabel im Wipfel einer hohen Erle von einem Ringeltaubenpärchen ein Nest gebaut wurde.

Jeden Tag beobachte ich die beiden Vögel mit meinem Fernglas. Es war gut zu sehen, dass sich jeweils nur eine Taube im Nest befand und sich dabei auch darin bewegte, denn einmal saß sie mehr rechts, dann sah ich ihren Kopf weiter links. Ab und zu bekam sie auch Besuch, wahrscheinlich von ihrem Partner. Ich war gespannt, wie das weitergehen würde.

Am Vormittag des 7. April geschah dann der Überfall: Vier Krähen hackten auf die brütende Taube ein und belästigten sie solange, bis sie aufgab und ihr Nest verließ. Danach fingen nun auch die Krähen an, miteinander zu zanken, bis einer dieser schwarzen Gesellen offenbar gesiegt hatte und nun neuer Nestbesitzer wurde.

Seit dieser Zeit konnte ich sehen, dass nunmehr eine Krähe im Nest saß. Auch sie wechselte im Nest herüber und hinüber. Oftmals konnte ich nur ihren Kopf sehen. Ab dem 26. April bemerkte ich, dass nun abwechselnd beide Vögel immer wieder anflogen – sie hatten nun wohl ihre Brut zu füttern.

Als ich am 16. Mai nachmittags im Hof auf einer Bank saß, konnte ich die ersten Flugübungen der flüggen jungen Krähen beobachten. Sie kamen mit ihren Eltern von der Erle herüber bis zu unserem Hof des ASB-Wohnparks. Immer wieder wurden die Flüge geübt. Zwischendurch bekamen die Jungen auf der Wiese etwas Nahrung in die aufgesperrten Schnäbel.
Ich sah das alles und konnte den Tieren nicht länger böse sein. So ist wohl der Lauf der Natur – nur der Starke setzt sich durch.

Und doch wünsche ich mir, dass es die Tauben - vielleicht auf einem Nachbarbaum - auch noch geschafft haben!


Lydia Radestock, im Mai 2004

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