Petras Auto-Marder
Meine Tochter Petra wollte kürzlich, zu Frühlingsbeginn, wieder einmal
in ihrem Bungalow in Prieros nachsehen: Alles in Ordnung?
Anschließend sollte ich von ihr und ihrem Freund Lothar in Neue Mühle
abgeholt werden, um zu meinem Sohn Klaus und meiner Schwiegertochter
Beate in das Forsthaus am Frauensee zu fahren - wir wollten dort alle
einige Tage gemeinsam verbringen.
Am Tag vor der Abfahrt erlebte Petra aber in Radebeul, wo sie ihren
Lothar abholen wollte (der PKW stand dort nachts vor dem Haus auf der
Straße), eine unangenehme Überraschung: Bei der Abfahrt zeigte das
Display in ihrem neuen Volkswagen einen Defekt am Motor an.
Als sie den Wagen in der Reparaturwerkstatt überprüfen ließ, war das
Ergebnis: Ein Steinmarder hatte in der Nacht ihrem Auto einen Besuch
abgestattet und einige Schläuche angebissen.
Nach der Reparatur konnte sie die geplante Fahrt fortsetzen. Da sie aber
im Forsthaus ihren Wagen für drei Nächte im Wald parkten musste, und
auch dort Marder schon an parkenden Autos Schäden verursacht hatten,
kaufte sie sich vorbeugend unterwegs im Baumarkt ein Mittel zum
Ausspritzen des Motorraumes ihres Wagens. Der Geruch dieses Sprays
sollte einen Marder von erneuten Bissen der Schläuche fernhalten.
Beim abendlichen Kartenspiel unterhielten wir dann über dieses Thema.
Mein Sohn, der Förster, der sich 1994 in seinem „Waldboten“ 46
Automarder mit diesem Thema befasst hatte, erinnerte sich seiner
Recherche und berichtete:
Es heißt, dass der „Automarder“ 1978 in der Schweizer Stadt Winterthur
zum ersten Mal zugeschlagen hat. Ein Bürger erstattete damals der
wiederholten Beschädigung von „Innereien“ seines PKW wegen Anzeige gegen
Unbekannt. Die Polizei entlarvte dann einen Steinmarder als Übeltäter.
Über Süddeutschland, Österreich und das Elsass verbreitet sich dieses
Phänomen seitdem in konzentrischen Kreisen offenbar über große Teile
Europas. Schon vor geraumer Zeit wurde dabei die Linie
Hamburg-Berlin-Budapest erreicht. Wenn die Geschichte so stimmt, scheint
die unbekannte Schweizer Mardermutter ihren lerneifrigen Jungen die
Vorzüge des „Lebensraums Auto“ damals sehr erfolgreich und nachdrücklich
mit auf die Wanderschaft gegeben zu haben!
Der Marder im Motorraum macht sich meist durch angeknabberte oder
zerbissene Achsmanschetten, Bremsleitungen, Zündkabel oder
Wasserschläuche unbeliebt. Nach Schätzungen des ADAC werden dadurch
jährlich Schäden im Umfang von mehreren hunderttausend Euro verursacht.
Die Motive des „Automarders“ sind noch nicht eindeutig geklärt. Man
nimmt heute an, dass ein im Marderrevier stehender PKW mit seinem
Labyrinth von Schläuchen, Kabeln und Tunneln unter der Motorhaube für
ein so neugieriges und verspieltes Tier wie den Steinmarder, der seine
Nase überall hineinzustecken gewohnt ist, ein ideales Erkundungsgebiet
darstellt. Vielleicht lockt ihn auch zusätzlich die mollige Wärme unter
der Motorhaube gerade abgestellter Autos. Besonders Jungtiere
erschließen sich dann ihre Umgebung beißend: Sie untersuchen Biss auf
Biss alles für sie Interessante, Warme, Weiche, Knuffige, Biegsame... !
Auf Reviergrenzen abgestellte Autos sind doppelt gefährdet: Sie werden
von beiden Nachbarn markiert, und bei Grenzstreitigkeiten zerbeißen die
Tiere dann in „Übersprung-Handlungen“ Kabel und Schläuche. Eine ähnliche
Wirkung erzielt, wer seinen „markierten“ PKW anlässlich einer Reise in
eine andere Stadt unabsichtlich in einem Marderrevier parkt, dessen
Inhaber gerade auf Revierpatrouille ist.
Engagierten Gegnern des PKW-Verkehrs gibt das Automarder-Phänomen
übrigens mancherorts Anlass zu dem Kommentar: „Die Natur schlägt
zurück!“
Er empfahl meiner Tochter und ihrem Lebensgefährten (wir hatten schon
ein paar Gläser Wein zu uns genommen) als einzig wirksames Mittel gegen
„Automarder“, abwechselnd gegen die Vorderräder des VW zu pinkeln.
Sie haben abgelehnt. Warum eigentlich?
Lydia Radestock, im April 2008 |