Mein „Tierleben“

Schon von Kindesbeinen an beschäftigte ich mich gern mit Tieren und hatte mit ihnen unvergessliche Erlebnisse.

Mein „Tierleben“ begann natürlich auf unserem Praskowitzer Bauernhof im Elbtal im Sudetenland. Eine meiner ersten Kindheits-Erinnerungen überhaupt ist die an unsere Michkuh Nettl – an ihre treuen Augen, die warme Zunge, das rollende „Muh“, den Geruch ihrer Milch und den ständig wedelnden Schwanz. Wir hatten damals insgesamt drei Kühe im Stall, und jedes Jahr kamen Kälbchen auf die Welt.
In einer Ecke des Kuhstalls stand später noch eine weiße Milchziege, die Maschl. Sie war total auf mich geprägt, durfte uns begleiten, wenn wir aufs Feld gingen – mit ihr habe ich viel Schönes erlebt. In einem Kuhstall-Verschlag gab es dann immer auch einige mümmelnde Kaninchen.
In einem anderen, kleineren Stall waren zwei bis drei Schweine untergebracht. Sie wurden zeitweise von Ratten belästigt, die wir eifrig verfolgten.
Daneben war das „Gänseabteil“, und über dem Schnattervolk hatten die Hühner ihren Stall - mit Sitzstangen und Legenestern. Auch diese Bilder sind sehr mir lebendig: Ich entsinne mich, dass ich schon als kleines Mädchen mit etwa vier Jahren begann, das Federvieh auf dem Hof zu füttern.

In unserem Hausflur hatte, seit ich denken kann, immer ein Hund seine Schlafecke. Zuerst war es ein schwarzer Rüde, der Murl. Er wurde von einem der wenigen Autos überfahren, die es in der 1930-ern bei uns im Dorf gab. Ab 1939 lebte bei uns dann ein weißer Spitz: Rolf, mein besonderer Liebling.
Die Hof-Katzen hatten ein warme Ecke in der Nische des alten Backofens. Meinen schwarzen Kater Peter erhielt ich eines Tages ganz kleines Kätzchen und hatte dann viele Jahre meine Freude an ihm.

Jedes Jahr im Mai zogen im Hausflur Mehlschwalben ihre Jungen auf. Auch an der Stallaußenwand waren immer etliche Schwalbennester, und unter dem Dach hausten stets eine Menge Sperlinge. Viele Jahre konnte ich im Sommer auch Rotschwänzchen in einer Nische der Scheunenwand brüten sehen.
Wenn ich heute die Rufe dieser drei Vögel höre, sehe ich mich unwillkürlich wieder im Eingang unseres Hauses stehen, als wären seitdem nicht über 60 Jahre vergangen!

Natürlich hatte ich damals bei der Arbeit auf dem Feld sowie bei Spaß und Spiel auch viele Begegnungen mit Wildtieren - Hasen, Rehen, Igeln, den vielen gefiederten Sängern, Kreuzottern (die bei uns sehr häufig waren), Fröschen und anderen Geschöpfen.
Einige dieser tierischen Erlebnisse waren auch unerfreulich: In den 1930-er Jahren kamen plötzlich unzählige tote Fische die Elbe hinab geschwommen, weil in der neuen chemischen Fabrik in Lobositz ungeklärte Abwässer einfach in den Fluss geleitet wurden. Von dieser Zeit an fing unsere schöne Elbe an zu stinken, und auch wir Kinder durften nicht mehr dort baden, weil viele von uns Ausschlag bekommen hatten.

Nach der Vertreibung aus der alten Heimat, bei der wir unsere gesamte Habe und damit natürlich auch alle Haus- und Hoftiere verloren, setzten sich meine Tierbegegnungen zunächst nur in sehr viel bescheidenerem Maße fort: Wir hielten im Halleschen Flüchtlingslager und dann später im Schrebergarten Hühner, um unsere Ernährungslage zu verbessern. Für alles andere - die Schönheiten der Natur, den Gesang der Vögel, den Flug der Schmetterling, das Froschkonzert im Teich ... war in dieser Notzeit wenig Platz; es galt, zu überleben. Unliebsame tierische Gäste aus diesen schlimmen Jahren waren allerdings Kopfläuse und Wanzen.

Während meiner späteren Jahre in Halle an der Saale verbrachte ich mit meiner Familie viele Stunden im schönem Bergzoo. Ich erinnere mich aus dieser Zeit besonders an die Anna, eine eigenartig krächzende Krähe. Es scheint, dass diese zahlreichen Zoobesuche meinen 1951 geborenen Sohn Klaus zu seinem zweiten großen Berufswunsch (der erste war: Lokführer) führten, an dem er dann fast bis zum Abitur festhielt: Zoodirektor wollte er sein (und ist dann doch „bloß“ Förster geworden)!

Als ich mit meinem Mann Günter, dem sechsjährigen Sohn Klaus und der einjährigen Tochter Petra 1957 nach Eisenhüttenstadt an der Oder zogen war, waren für uns Haustiere weiterhin Pflicht: Sie verschönten uns das Leben und lehrten unsere Kinder die Ehrfurcht vor der Natur.
Es begann damit, dass mein Mann, u.a. medizinischer Fachpräparator, ab und an Versuchstiere aus seinem Labor mit nach Hause brachte, die aufgepäppelt werden mussten: Ratten, Mäuse, Meerschweine, Kaninchen ... Einmal zogen wir gar einen kleinen Kauz auf, das „Dunke-Julchen“ (so genannt wegen seiner lustigen Duck-Bewegungen) – er war in einen Schonstein gefallen.

Zum langjährigen „Inventar“ der Eisenhüttenstädter Wohnung gehörten auch Wellensittich Bubi (sowie seine Nachfolger gleichen Namens) und unser schwarzer Spitz Morchen. Beide wurden wie Familienmitglieder behandelt.
Mein Sohn Klaus hat dann schon als Achtjähriger mit einer Goldhamsterzucht sein Taschengeld aufgebessert; er war von Kindesbeinen an mit Tieren und Pflanzen bestens vertraut und ist folgerichtig auch Förster geworden. Auch meine Tochter Petra, eine Ärztin, hat sich damals zu einer großen Tierfreundin entwickelt und hält seit vielen Jahren Zwergkaninchen als Haustiere.

Bei Spaziergängen durch das abendliche Eisenhüttenstadt besuchte unsere ganze Familie nicht selten „Natur-Konzerte“: Wir lauschten dem Gesang der Sprosser, vernahmen die schnatternden Wildgänse über die Stadt fliegen und sahen Schwalben und Stare sich versammeln, um in ihre Winterquartiere zu ziehen. Sogar den Kuckuck hörten wir dabei mitten in der Stadt rufen.

Als die Kinder ihre eigenen Familien gegründet hatten und ich als Witwe in den 1980-ern allein in der Oderstadt zurück blieb, war ich weiterhin eine emsige Beobachterin der gefiederten Sänger und musste feststellen: Die Artenvielfalt nimmt ab, das Artenspektrum verändert sich! Früher gab es in der Stadt mit ihren großräumigen grünbepflanzten Innenhöfen scharenweise Grünlinge, Sperlinge, Schwalben und Meisen, Stare und unzählige andere Arten – viele von ihnen sind bis Ende der 1990-er verschwunden. Dafür haben sich Elstern und Krähen, aber auch die Möven und Tauben kräftig vermehrt – sie suchten trotz steigenden Autoverkehrs die Straßen und Plätze nach Abfällen ab.
Eine schöne Tierbegegnung aus dieser Zeit war Roxi, der Mischlingshund eines Bekannten. Bei jedem Besuch setzte er sich in meiner Küche vor den Kühlschrank.

Seit mein Sohn mit seiner Familie im südöstlich von Berlin gelegenen Forsthaus am Frauensee wohnt, besuche ich die „Waldleute“ und ihre vielen Tiere oft. Als ich gesundheitlich noch dazu in der Lage war, habe ich dann nicht selten auch „Urlaubsvertretung“ bei der Betreuung der „Menagerie“ gemacht: Katzen, Meerschweinchen, weiße Mäuse, Kaninchen, Goldhamster, Degus, Chinchillas, Wellensittiche, Papageien, aber auch Wildtier-Pfleglinge wie Frischlinge, Kitze, Igel, Eichelhäher, Raben oder Eichhörnchen waren zu betreuen.

Dabei gab es unvergessliche Erlebnisse – Schreckliches, aber auch Schönes:
Forstpferd Bianka war es satt, Holz zu rücken, und kehrte ganz allein in den Stall heim - ein Steinmarder „erlegte“ im Außengehege 12 Meerschweinchen, die er fein säuberlich aufreihte (natürlich geschah so etwas immer gerade dann, wenn Oma aufpassen sollte!) - auf dem Hof schlug ein Habicht Henne auf Henne, so dass nichts half als ein Maschendrahtzahn (auch und vor allem nach oben) - eine Glucke zog, statt fleißig Eier zu legen, 10 kleinen Küken im Wald auf - Nachbars Jagdhund Dina „apportierte“ das Zwergkaninchen meiner Enkelin Maria, das danach leider vor Aufregung gestorben ist - der rostrote Kater Garfield machte sich unbeliebt, weil er immer die Frösche aus dem Gartenteich angelte; er kam oft arg „verprügelt“ von seiner Brautschau aus dem Dorf heim - Wildschwein Moritz musste erschossen werden, weil es zu zahm und anhänglich und auf den Menschen geprägt war, gleichzeitig aber immer schwerer und seine Hauer immer länger wurden (das konnte für Besucher gefährlich werden) - Nachbars Dackel Felix, der ständig mit Autos oder Wildschweinen kollidierte und im Ergebnis dieser Treffen ganz krumm lief - die Fledermäuse piepsten durchdringend in ihrem Wochenstuben-Kasten am Waldrand - die Rehe ästen im Garten, und ein Bock „fegte“ jahrelang beharrlich meinen Nussbaum - Hirschkäfer mussten per „Zangengeburt“ aus dem Holzpflaster befreit werden - Igelfamilien spazierten laut schnaufend die Benjeshecke entlang - Gotland-Schafbock Max brach ständig aus seinem Gatter aus und ließ sich dann von den Kindern im nahegelegenen Ferien-lager verwöhnen - Hornissen-nester (vom Dachboden) und Waldameisen-Burgen (aus dem Gemüsegarten) wurden umgesetzt - Eichelhäher Felix wollte und wollte nicht „auswildern“ und kam lange Zeit jeden Morgen angeflattert, wenn man seinen Namen rief eine - eine Mäuseplage nach der anderen brauchte in den letzten Jahren die Forsthausbewohner fast zur Verzweiflung - das Froschkonzert vom Waldschulteich nebenan dröhnte so laut, dass man nicht einschlafen konnte - die Mücken stürzten sich (keineswegs nur an schwülen Abenden!) gierig auf die Grillfest-Gäste ...

Ich könnte lange aufzählen, was die wunderbare Welt des Waldes an diesem Ort alles für mich bereit hielt!
Unzählige Vögel beobachtete und hörte ich hier, sah sie ihre Jungen aufziehen: Meisen, Amseln, Drosseln, Stare, Kuckucke, Spechte, Buchfinken, Zeisige, Grünlinge, Schwalben, Rotschwänzen und Rotkehlchen, Spatzen, Pirole, Bachstelzen, Kolkraben, Mäusebussarde, Störche, Ringeltauben, Eisvögel ... Im Forsthausgarten unter der alten Winterlinde sitzend lauschte ich dem Summen und Schwirren der unzähligen Bienen, Hummeln, Wespen oder Hornissen und bewunderte Schmetterlinge wie Pfauenauge, Kleiner Bär, Zitronenfalter, Admiral ... Am nahen Frauensee sowie auf dem Waldschulteich-Steg und beim Graben in den Försterwiesen beobachtete ich Frösche, Kröten, Ringelnattern ... Ich lehrte meine Enkel, im Altweibersommer Kreuzspinnen mit Fliegen zu füttern und gab ihnen Namen ...
Hier war es allerdings auch, wo ich meine ersten bösen Erfahrungen mit den blutsaugenden Zecken machen musste!

Speziell in der 1990-ern unternahm ich, wann immer es mir gesundheitlich besser ging, Reisen in alle Welt. Auch dabei hatte ich viele Tierbegegnungen der besonderen Art:
Auf Teneriffa erlebte ich Geckos im Hotelzimmer und Taranteln im Park.
Bei meiner Cousine Christl in Atztec (Neu Mexiko, USA) kamen deren Familienhunde, Dobermann Arbi und Colli Penni, jeden Morgen in mein Zimmer, um mich zu wecken. Bei Spaziergängen begleiteten sie mich eifersüchtig. Die Tiere erkannten mich sogar Jahre später bei einem zweiten Besuch sofort wieder!

Seit fast zwei Jahren bin ich nun Bewohnerin von Neue Mühle, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen bei Berlin, und kann mich auch hier über mangelndes Tierleben nicht beklagen. Dafür sorgt schon der nahe Park mit seinen uralten Bäumen. Fast täglich freue ich mich bei meinen Spaziergängen derzeit hier an Wasservögeln wie Reihern, Blessrallen, Haubentauchern, Schwänen oder Stockenten auf den kleine Weihern, erlebe erfolgreiche Vogelbruten in selbst angebrachten Nistkästen, sehe Scharen kleiner Frösche über die Parkwege hüpfen, die eben noch Kaulquappen waren ...

Auch von meinem großen Balkon ist viel zu erspähen (dafür nehme ich sogar einen Feldstecher zu Hilfe) und zu hören: Morgens und abends das Baden der Vögel im Hofteich, balzende Ringeltauben an ihrem efeuberankten Nistbaum im Park, Rufe des Pirols und Kuckucks ... Nur die Schwalben und Sperlinge machen sich hier rar!

Je mehr ich über mein Erdendasein mit und unter Tieren nachdenke und schreibe, umso mehr fällt mir ein – viele Seiten könnte ich damit noch füllen!
Erfreut möchte ich Bilanz ziehen: Mein langes Leben ist bisher an wunderbaren Erlebnissen mit vierbeinigen und geflügelten und geschuppten und chitingepanzerten ... Geschöpfen wahrhaftig reich gewesen. Auch die Kinder und Enkel sowie einige Leute aus meinem Freundeskreis habe ich wohl mit dieser Begeisterung anstecken können.

Was will ich eigentlich mehr? Vielleicht das noch: Möge ein reiches „Tierleben“ mir, meiner Familie und allen meinen Freunden auch in Zukunft Glück und Freude bescheren!


Lydia Radestock, im Juni 2005

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