Freud und Leid im Lenz
Nach dem ungewöhnlich langen und harten Winter verkünden uns nun
(endlich!) unzählige Frühlingsboten: Der Lenz ist da!
In meinem langen Leben habe ich mich in dieser Jahreszeit stets der
überwältigenden Fülle der Farben, Düfte und anderer Eindrücke erfreut,
die besonders die Frühlingskünder aus dem Tier- und Pflanzenreich
vermitteln. Und was habe ich mit meinen nun 82 Jahren nicht schon alles
gesehen:
Heimkehrende Zugvögel wie Hausrotschwänze, Heidelerchen, Rotkehlchen,
Kiebitze, das weithin hörbare Kranich-Trompeten ... verstärken das immer
lauter werdende morgendliche Vogelkonzert unserer überwinternden
„Standvögel“.
Frühblüher wie Schneeglöckchen, Hirtentäschel, Märzenbecher, Ulmen,
Lärchen, Salweiden ... erfreuen unser Auge; an Erlen, Haseln, Weiden,
Wildobst ... wagt sich bald erstes zartes Grün hervor.
Frühe Insekten erscheinen: Hummeln, Tagpfauenaugen, Mistkäfer,
Feuerwanzen, Zitronenfalter ..., die „Sonnung“ der Roten Waldameisen
beginnt.
Lurche wie Erdkröten, Grasfrösche, Teichmolche ... streben (z.T. in
auffallenden Wanderzügen) in diesem Jahr winterbedingt verspätet,
Laubfrösche, Rotbauchunken, Wechselkröten ... jahreszeitgerecht ihren
Laichgewässern zu.
Kriechtiere wie Zauneidechsen, Ringelnattern, Blindschleichen,
Kreuzottern ... kommen nun hervor und genießen die Wärme der
Frühlingssonne.
Säugetiere wie Wildschweine, Dachse, Iltisse oder Baummarder führen
Junge, und auch die „Märzhasen“ liegen nun in der Sasse ...
Aus dem Internet erfuhr ich kürzlich zusätzlich: Dass auch uns Menschen
dieser Tage „Frühlingsgefühle“ erfüllen, verdanken wir der bei
steigender Lichtintensität vermehrten Ausschüttung der
Nerven-Botenstoffe Serotonin und Dopamin. Diese können zu einem
allgemeinen Glücksempfinden beitragen und Euphorie bewirken. Auch der
Partnerwunsch steigt ... Im Gegensatz dazu stellt sich bei manchen
Leuten allerdings auch die dem immer noch stark im Blut vorhandenen
Schlafhormon Melatonin zugeschriebene Frühjahrsmüdigkeit ein. Die macht
sich dann leider nicht nur bei der aus Zeitumstellungs-Anlass fehlenden
Morgenstunde bemerkbar ...
Ich jedenfalls genieße den Frühling, wenn auch heute richtiges
Aprilwetter ist! Zwischen zwei Regenschauern habe ich vorhin einen
Spaziergang im benachbarten Park unternommen.
Schon auf dem Gelände des ASB-Wohnparks Neue Mühle erfreute ich mich der
ersten Schneeglöckchen und einiger Krokusse. Als ich zum Hoftor heraus
kam, leuchteten mir aus dem Park die Haselnuss-Sträucher mit ihren
goldgelben Blüten vom Park herüber. Dass mich die „laufende“ Nase an
meine Allergie erinnerte, störte mich nicht, denn die Freude über diesen
schönen Tag überwog bei weitem.
Im Park badeten einige Enten (mögen sie vogelgrippefrei bleiben!) im
eisfreien Bereich des Teichs; sie hatten sich schon zu Pärchen zusammen
gefunden. „Meine“ Blesshühner waren noch nicht dabei.
Über mir zwitscherten und balzten verschiedene Vögel in den Kronen der
Parkbäume. Auch das Ringeltaubenpärchen vom Vorjahr hörte ich wieder
verliebt gurren. Auf einer hohen Birke beschäftigte sich ein Krähenpaar
an seinem Vorjahres-Nest; zwei Eichhörnchen schwangen einander jagend
durch die Äste und kletterten flink an einem efeuumrankten Baumstamm
empor...
Doch
dann wurde ich traurig: Vor mir auf der Parkstraße (Krimnickallee) lag
ein breitgewalztes Krötenpärchen, das wohl zum Laichen in Richtung Teich
unterwegs war. Kurz danach erblickte ich auch das zweite und kurz darauf
das dritte tote Krötenpaar. Bei den Weibchen war der Laich aus den
zerquetschten Körpern gepresst worden.
Im ersten Moment war mir die Freude am Spaziergang verdorben. Daheim
jedoch überlegte ich, was unternommen werden könnte, um dem sinnlosen
Straßentod der schönen und nützlichen Lurche Einhalt zu gebieten:
Nachbarn und Freunde darauf aufmerksam machen, den ASB bitten, sich an
die Presse zu wenden, selbst einen kleinen Artikel zu schreiben und
darin auszurufen „Liebe Autofahrer, gebt acht, jetzt ist
Krötenwanderung“ ...
Freud und Leid liegen eben auch im Frühling dicht beieinander!
Lydia Radestock, im April 2006
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