Ein Abend auf dem Balkon
Da nun endlich die Fußball-WM geschafft ist, gönnte ich mir zum Ausklang
eines heißen sonnigen Tages kürzlich wieder einmal einen Abend auf
meinem Balkon.
Nach den vielen Tagen vor der „Glotze“ war das ein Erlebnis der
besonderen Art: Während des Sonnenunterganges wurden am westlichen
Himmel einige Wolken vom langsam schwindenden Tagesgestirn auf eine
Weise angestrahlt, dass ein herrliches Abendrot entstand.
Ringsum war Feierabendruhe eingekehrt, und so konnte ich die
verschiedensten Geräusche in der Umgebung deutlich wahrnehmen und meine
Beobachtungen völlig ungestört machen.
Zuerst betrachtete ich eine Kreuzspinne, die ihr Netz zu weben begonnen
hatte. Immer wieder spann sie den feinen Spinnfaden zwischen
Balkongeländer und Vogelfutterhäuschen hin und her, bis in erstaunlich
kurzer Zeit ein kunstvolles Gewebe entstanden war.
Dann fesselte ein Reiher meine Aufmerksamkeit: Er kehrte laut „tscheckernd“
über die hohen Parkbäume zum Nest in seiner Kolonie zurück, um dort zu
übernachten. Zielsicher bahnte er sich seinen Weg durch die Schwalben,
die hoch oben in der Luft herumschwirrten, um sich im schwindenden Licht
schnell noch einige Mücken zu fangen.
Natürlich durfte nun auch das abendliche Krähenritual „Wer-hat-den-besten-Schlafplatz?“
nicht fehlen: Schon auf der großen Erle gegenüber im Park versammelt,
flogen ab und an einige dieser Schwarzkittel geräuschvoll hoch, bis
endlich alle ihren Platz gefunden hatten und Ruhe gaben. Das machte es
dann möglich, den zarten, hin und wieder anschwellenden Tönen einer
Nachtigall zu lauschen. Dass verstohlen ein Frosch dazwischen quakte,
störte nicht weiter.
Die drei kleinen Goldfische, welche die Enten von ihrem letzten Besuch
noch übrig gelassen hatten, zogen derweil unten im Hofteich ihre Kreise.
Da die Sonne diesen Tümpel derzeit fast ausgetrocknet hat, ist nur noch
eine kleine und vermutlich sehr warme Wasserpfütze übrig, auf der sich
die badewilligen Vögel an heißen Tagen dann drängeln wie die Menschen im
Schwimmbad. Und siehe: Auch an diesem Abend fiel noch eine kleine Schar
Stare hier ein, um sich ihr verstaubtes Gefieder im Wasser zu säubern.
Es geht den Staren wie den Leuten: Auch sie wollten wohl nicht schmutzig
„ins Bett“.
Dann ein allgemeines Aufflattern der Stare: Der große Steinmarder von
nebenan hatte seinen abendlichen Streifzug durchs Revier begonnen und
lief quer über den Hof. Wir haben ihn schon seit Wochen von unseren
Balkons beobachten können – man kann fast die Uhr nach dem Tier stellen!
Als es dann ganz dämmerig war, huschten lautlos die ersten Fledermäuse
zwischen den Häusern herum und lösten die Schwalben beim Mückenfang ab.
Die Flattertiere haben ihr Sommerquartier vermutlich in einem der hohlen
Parkbäume. Eine davon berührte mich fast in meiner Ecke auf dem Balkon.
Plötzlich störte ein rasender Motorradfahrer mit seiner knatternden
Maschine von der Hauptstraße her meine Abendruhe. Daraufhin bellte laut
in der Nähe ganz empört ein aufgeschreckter Hund. Als dann auch noch
einige Mücken lästig zu werden begannen, wusste ich: Das war’s für
heute; genug geträumt – der Ernst des Lebens hat mich wieder!
Trotzdem: An diesem lauwarmen Sommerabend konnte ich „Seelenfrieden
tanken“. Versuchen Sie das doch auch einmal wieder auf diese Weise!
Lydia Radestock, im Juli 2006
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