Begegnungen mit Eichen

Ich habe gelesen, dass für die Germanen, unsere Vorfahren, die Eiche einst ein heiliger, dem Wettergott Donar geweihter Baum war. Unter solchen Bäumen hat man früher Gerichte, Versammlungen, Gottesdienste und auch Feste abgehalten.

Auch ich hatte in meinem Leben viele Begegnungen mit Eichen; von zweien sei hier berichtet:

Im zweiten Weltkrieg wurden alle jungen Frauen und Mädchen aus unserem Dorf Praskowitz an der Elbe zu Arbeitseinsätzen im Eichenwald verpflichtet. Hinter dem Berg Debus in der Nähe unseres Ortes sollte ein Steinbruch erweitert werden. Weil sich an dieser Stelle ein Eichenwald mit 20-30jährigen Bäumen befand, musste hier ein Kahlschlag her. Die jungen Eichen wurden jedoch nicht etwa zu Brennholz verarbeitet B wir schnitten vielmehr die Stangen auf einen Meter Länge und beklopften sie von beiden Seiten stumpfen Beilen, um dann ihre Rinde abschälen und stapeln zu können. Das war damals eine übliche Nutzung solcher Bäume: Sie im Mai, wenn der Saft schon in die Rinde gelangt ist, zu fällen und die abgeschälte Rinde zu den Gerbereien zu bringen. Denn die Eichenrinde wird zum Gerben des Leders benötigt. Tierfälle werden hier gemeinsam mit der Rinde in Wasser eingeweicht, um das Leder haltbar zu machen.
Es war eine schwere Arbeit, und man hatte ein gewisses Pensum zu schaffen. Mitunter ging aber auch sehr lustig zu. Zum Abschluss gab es von den Bauern, denen der Eichenwald gehörte, ein besonderes Abendessen mit Eiern, Räucherspeck und Bier.

Als ich vor einigen Jahren mit meiner Freundin in einem kleinem Ort, Meuselwitz in der Nähe von Unterwellenborn in Thüringen, meinen Urlaub verbrachte, kamen wir auf den Weg zur Mittagsgaststätte am Marktplatz an drei knorrigen alten Eichen vorbei. An dem Stamm der mittleren Eiche waren zwei schon teilweise verrostete Eisenringe angebracht.
Während eines Heimabends erfuhren wir über Aufzeichnungen einer Dorfchronik, dass dort Leute, die einer Untat oder auch ehelicher Untreue beschuldigt wurden, zu ihrer Schande unter diesen Eichen einen Tag an den Pranger gestellt wurden. Jeder Dorfbewohner konnte sie hier sehen, beschimpfen, mit Schmutz bewerfen und anspucken. Auch der Name der Frau, welche hier Ende des 17.Jahrhunderts als Letzte angekettet wurde, ist in dieser Ortschronik enthalten.

Lydia Radestock, im Februar 2003

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