Ameisen-Straßen

 

Schon des öfteren erlebte ich - bei schönem Wetter im Forsthausgarten auf dem Gartenstuhl unter der alten Linde sitzend - wie größere oder auch kleinere Ameisen an dem dicken Stamm hoch und runter liefen. Sie bewegten sich dabei jedoch immer nur in einem ganz bestimmten Bereich – auf der einen Seite hoch, nebenan wieder herunter. Manchmal blieben dabei sich begegnende Tiere beieinander stehen – so als ob sie sich kurze Mitteilungen austauschten.

 

Es ist erstaunlich, wie schnell so ein winziges Tier (es waren auch sehr kleine Ameisen darunter) den steilen Stamm empor klettert. Im Nu haben sie von der Erde aus diese lange Strecke bis zu den oberen Ästen geschafft.

Zur Begründung für dieses Verhalten fand ich in der Literatur folgende Erklärung: Ameisen sind Allesfresser; sie ernähren ihre Jungen auch vom Honigtau der Blattläuse, welche sie oft auf den Bäumen finden. Deshalb müssen solche beschwerlichen Wanderungen unternehmen.

 

Für unsere Forsthaus-Ameisen ist es ein weiter Weg, durch den Garten bis zu der Linde zu wandern. Die großen von ihnen siedeln an der Südseite der Benjeshecken-Umgrenzung des Gartens, und die kleinere Ameisen kommen zwischen den Gartenweg-Platten aus der Erde hervor.

Das ist für sie nicht ungefährlich: Viele von ihnen werden unterwegs schon am Boden von Vögeln aufgepickt. Am Zielort hat es dann besonders der Specht auf die Tiere abgesehen. Wie ich beobachten konnte, klopfte er fast immer um die dieselbe Zeit nach Beute suchend genau dort an den Ästen der Linde herum, an denen Ameisenstraßen verliefen.

 

Im benachbarten Haus des Waldes verläuft am „Öko-Schuppen“ eine Straße hügelbauender Roter Waldameisen über den Rundweg der Einrichtung und die riesige Birke hinauf.. Dort hängt sogar ein Schild: „Vorsicht, Ameisenstraße“!. Ich habe beobachtet: Die meisten Besucher stutzen – und begreifen.

 

Lydia Radestock, im August 1999

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