Silvester mit Hans
Den
Sylvesterabend 1999 verbrachte ich mit meinem Enkel Hans im Forsthaus am
Frauensee.
Als ich nachmittags eintraf, meinte er zu mir: "Oma, heute habe ich für den
Abend eine große Überraschung für Dich, und ich habe auch alles besorgt,
damit wir um 24.00 Uhr auf das Neue Jahr anstoßen können."
Hans kocht sehr gern. Wenn ich anwesend bin, muss ich stets seine Ergebnisse
verkosten und beurteilen, darf dabei aber während des Kochens nicht mit in
die Küche. Denn er will ganz allein herumwirtschaften.
Seine Spezialität ist übrigens "Mexikanisch": Chili con Carne mit
Knoblauch-Blätterteig-Ecken. Gern macht er auch Nudeln und dazu eine dicke
Ketschup-Pasta mit gerösteten Würstchenscheiben - anschließend wird hier
noch geriebener Käse darüber gestreut.
Manchmal bin ich früher vor Schreck fast in Ohnmacht gefallen, wie die Küche
nach so einer Aktion aussah. Inzwischen hat er aber gelernt, dass
anschließend Ordnung gemacht wird, man alles wegräumen, den Herd reinigen
und das Geschirr in die Spülmaschine packen muss.
An
diesem Sylvesterabend brutzelte er also wieder einmal eifrig. Es kam bald
ein angenehmer Knoblauchduft aus der Küche. Schnell hatte er dann auch noch
im Wohnzimmer den Tisch für uns beide festlich gedeckt.
Wir aßen, und er fragte mich: Na, Oma, wie schmeckt`s wieder?" und sagte
dann: "Es gibt später um Mitternacht noch etwas Außergewöhnliches".
Anschließend hantierte er weiter allein in der Küche herum, kam aber
zwischendurch neugierig ein paar Mal zu mir in die Wohnstube gucken, um
einen Blick auf das Fernsehprogramm zu werfen.
Als er wieder einmal fix zurück in die Küche eilte, kam dort ein komischer
Geruch heraus. Hans ließ sich aber nichts anmerken.
Als es dann 23.3O Uhr war, meinte er: "Oma, es ist kalt und finster draußen,
wir verzichten mal auf den Spaziergang zum Waldrand (der ist aus diesem
Anlass bei den Forsthausbewohnern obligatorisch, da man hier das Feuerwerk
der umliegenden Gemeinden sehr gut sehen kann). Damit Du auf dem holprigen
Weg nicht fällst, fahre ich Dich mit dem Auto raus; auch ein warmes Getränk
und die Raketen nehme ich mit".
Als wir draußen waren, fingen pünktlich um Mitternacht in der Umgebung die
Kirchenglocken an zu läuten, und die Raketenballerei ging los. Hans sagte:
„Oma, jetzt stoßen wir erst mal auf das Milleniums-Jahr 2000 an". Aus einer
Thermosflasche füllte er für jeden eine komisch riechende Brühe ab: "So, Oma
- Prost auf ein gutes zweites Jahrtausend!"
Mir blieb das Gebräu fast im Halse stecken. Hans aber meinte: „Das tut
gut!". Ich sah jedoch, dass er den geheimnisvollen Trank heimlich hinter dem
Auto entsorgte. Dann feuerte er seine Raketen ab, und wir fuhren wieder
zurück.
Wieder im Forsthaus beichtete er mir: „Es sollte ein ganz besonderer
Glühwein werden“. Während der „um-die-Ecke-Fernseherei“ wäre er jedoch
angebrannt und zum Teil übergelaufen.
Jedenfalls brachte er mir als Ersatz noch ein Gläschen Sekt, und wir stießen
(doppelt hält besser!) noch einmal auf´s 2. Jahrtausend an.
Anschließend besuchte Hans seine Freunde im Dorf. Ich guckte noch etwas vom
Fernsehprogramm und ging dann zu Bett. Noch im Einschlafen dachte ich: „Bei
soviel Pech muss man doch nun im kommenden Jahr ganz einfach Glück haben!
Lydia Radestock, im Januar 2000 |