Getanztes Leben

Von Kindesbeinen an habe ich sehr gern getanzt. Das fing schon in frühen Kindertagen an: Ringel, Ringel, Reihe ... sangen und tanzten wir schon damals in den 1920ern auf unseren verschiedenen Spielplätzen und der Spielwiese.

Später, in den 1930ern, wiegten wir Mädels uns zu verschiedenen Anlässen in unseren Dirndlkleidern im Reigen auf dem Dorfplatz.

Was aber die richtigen Tanzveranstaltungen anging: Auf den Dörfern bei uns war es damals üblich, dass man zuerst von den Eltern zu einem Vereins-Ball oder zum Fasching mitgenommen und damit gleichsam in die „Vergnügungswelt“ der Erwachsenen eingeführt ward. Getanzt wurde ja nur zu verschiedenen Festen. In den Dorfgasthäusern war dabei meist Blasmusik üblich .
Die Mädchen und jungen Frauen saßen auf Bänken um den Saal herum, und wenn der erste Takt der Musik erklang, strömten die Burschen von der Theke herbei, um sich eine Tänzerin zu holen. Oft gingen die Mädchen ihren Liebsten dabei schon entgegen.
Unter dem Chor, wo oben die Blasmusiker spielten, saßen die älteren Frauen und beobachteten den ganzen Abend das Geschehen im Saal. Sie hatten dann die ganze Woche über Gesprächstoff: Wer mit wem und wie ... Es gab ja noch kein Fernsehen!

Als ich dann den Kinderschuhen entwachsen war, tobte der zweite Weltkrieg. Offizielle Tanzveranstaltungen waren nunmehr nur noch ab und an gestattet. Kurz nach dem Polenfeldzug der Wehrmacht zum Beispiel durften wir wieder ...
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gut an den Feuerwehrball 1939 im Elbehotel: Meine Eltern konnten nicht mit und erlaubten, dass ich unter Aufsicht unseres Nachbarn Pappisch teilnehmen konnte. Denn: Unter 18 Jahren durfte man allein an keiner öffentlichen Tanzveranstaltung teilnehmen; das wurde streng kontrolliert!
Es waren fast nur einheimische Dörfler sowie einige Jungs aus dem Nachbardorf Lichtowitz anwesend. Für ein (für unsere Gegend sonst typisches) Blasmusikorchester war die Gaststätte zu klein. Ohne Mikrofon und Verstärker spielten also die Finger Hilde (Frau Brunz) mit ihrem Mann und noch einem weiteren Musiker auf einem winzigen Podium mit Saxophon, Klavier und Keybord Schlager wie So wie Du mein blondes Kätchen, so küsst kein andres Mädchen“ ...“, „Komm zurück, ist der Weg auch weit, führt er Dich und auch mich in die Seeligkeit ...". Auch die „Rosamunde“, der „Stern von Rio“, „Hoch droben auf dem Berg“, „Max Du hast das Schieben raus“, „Es war ein Edelweiß“ und etwas von kohlschwarzen Rappen, dessen Titel ich vergessen habe, wurde zu Gehör gebracht.
Plötzlich, während eines Tangos, ging ein Raunen durch den Saal: „Die Gendarmen aus Lobositz sind da“. Alles flüchtete von der Tanzfläche und setzte sich zu den Eltern oder sonstigen Beschützern, und schon gingen die Kontrollen los. Da ich Herrn Pappisch nicht gleich finden konnte, versteckte mich der Schandor Ernst aus Lichtowitz im, Zimmer wo die Garderobe hing, schnell unter einem Mantel, und wir warteten ab, bis die Kontrolle vorbei war ich nach Hause konnte. Die Stimmung war allen verdorben. Der junge Polizist, Herr Korenz aus dem Altreich, nahm die Sache sehr genau! Es war halt Gesetz, und da durfte nicht gemurrt werden.

Nach dem Krieg lernte ich dann Anfang der 50er Jahre bei einer Tanzveranstaltung in Halle/Diemitz meinen Mann Günter kennen. Gut zu tanzen war damals nicht leicht: Die Igelit-Schuhe mit ihren stumpfen Sohlen - auf Bezugschein oder „hintenherum“ teuer ergattert - hemmten sehr beim schnelle Drehen, und man wurde rasch müde. Manchmal wurde sogar mit Holzsandalen getanzt. Gingen die schmalen Riemchen während des Tanzens entzwei, gab es jedes Mal Tumult.
An dem Abend war gerade Stromsperre (welche es damals oft gab). Als Günter an meinem Tisch vorbeikam, grüßte er bei Kerzenschein, schaute mich an ... und ich stand auf, um mit ihm zu tanzen.
Wir haben dann viele Tänze zusammen gewagt. Ich schämte mich jedoch, dass ich nur ein Flüchtlingsmädchen aus einem Barackenlager war, kein richtiges Sommerseidenkleid und ordentliche Schuhe hatte – und er war Medizinstudent! Deshalb verabschiedete ich mich vor Schluss und ging mit einer Bekannten nach Hause.

Weil ich ihm auf seinen Wunsch gesagt hatte, wo ich arbeitete, wartete er einige Abende auf dem Marktplatz, an dem ich vorbei kommen musste, auf mich. Er hatte mir nämlich versprochen, mich in das Haus der Gewerkschaft in Halle/Saale zu einem Ball der Tanzschule Hesse, bei der er Mitglied war, einzuladen.
Das war damals eine Aufregung für mich, denn ich musste mir doch erst ein langes Ballkleid von einer Arbeitskollegin borgen, und es gelang mir sogar, richtige feine Lederschuhe mit Absätzen zu besorgen!
Trotz meiner Angst vor einer Blamage (weil ich ja im Krieg keinen Tanzkurs wahrnehmen konnte) wurde es für mich ein unvergessliches Erlebnis. Der Ball dauerte bis früh um 5 Uhr. Verliebt tanzten wir manch langsamen Walzer und hatten dazu auch genug Platz auf dem Parkett, denn es gab keinen Massenansturm wie in den anderen Gaststätten, da nur geladene Gäste anwesend waren.

Später nahm ich die zu Tanzveranstaltungen mit meinem zukünftigem Mann gern an, ohne dass mir noch Bange war. Wir hatten wir uns ja aneinander gewöhnt, und mir passierten auch kaum noch Fehler beim Tanzen.
In dieser Zeit waren die Lieder von Rudi Schuricke „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...“ oder von Freddy Quinn „Junge komm bald wieder ..." in Mode. Auch zu den Liedern vom Schweizer Sänger Vicko Toriani oder bei Sahra Leanders Lied „Der Wind hat mir ein Lied erzählt ...“ tanzten wir gern.

In meiner Ende der 1950er beginnenden Eisenhüttenstadt Zeit besuchten wir als „tanzendes Ehepaar“ zunächst nur die Betriebsveranstaltungen des Krankenhauses, in dem mein Mann Anstellung gefunden hatte, weil wir unsere Kinder nicht gern allein lassen wollten. Deshalb ging Günter auch immer zwischendurch nach Hause, um nach dem rechten zu sehen.
Aus besonderem Anlass wie einem Fasching ging es aber auch schon mal ins Klubhaus der Gewerkschaft oder in die Kellerbar im Hotel Lunik ... Fast alle diese Orte sind heute übrigens demoliert oder schon weggerissen!

Besonders beliebt war damals auch die etwas abgelegene Berggaststätte „Diehloer Höhe“. Sie wurde liebevoll „der Huckel“ genannt. An diesen Ort habe ich übrigens eine ganz besondere Erinnerungen: Als ich mit meinem Mann zur Einweihungsfeier der Eisenhüttenstädter Pathologie, wo er als wissenschaftlicher Fachpräparator arbeitete, an diesem Ort ausgelassen feierte, platze mir beim Tanzen des berühmten Liedes vom Zickenschulzen mein Schlüpfergummi. Der Schlüpfer rutschte mir bis zu den Knien herunter, und ich musste ihn festhalten. Leider hatten auch Günters Kollegen etwas mitbekommen. Natürlich musste er mich bis vor das WC begleiten, damit ich den Schaden beheben konnte._
Später verlor ich hier einmal bei einem Tanz meinen Schuh. Mir war ein anderer Tänzer in den Hacken getreten und hatte mir dabei den Schuh vom Fuß gestreift. Es war ein ganz flotter Tanz nach dem Lied „Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt, Sie müssen warten ...“ (oder so ähnlich).
Einmal konnte ich hier während eines Maskenballs nichts trinken, weil ich vergessen hatte, vorher in den Papp-Mund der Gesichtsmaske ein kleines Loch für den Strohalm zu stechen. So musste ich bis zur Demaskierung warten und kam fast um vor Durst.
Die Maskenkostüme haben wir uns damals übrigens alle selbst angefertigt: Ritterfräulein Goldfisch, Dirndl, Köchin ...

Als ich später Witwe war, ging ich mit meinen 5 Rommee-Damen (alles Witwen) jeden dritten Sonntag zur „Rentnerdisko“.

Ich bedauere sehr, dass ich hier in Neue Mühle bisher keine Gelegenheit zu einer Rentnertanzveranstaltung hatte, um nach dem jeweiligen gesundheitlichen Befinden ab und zu teilnehmen zu können. Noch ist aber nicht aller Tage Abend!

Das Rauchen habe ich mir niemals angewöhnt. Deshalb störte es mich bei den Tanzveranstaltungen auch immer sehr, wenn die anderen Leute soviel qualmten und man diesen Geruch trotz Lüftens tagelang nicht aus den Kleidern bekam.
Aus Erfahrung und um mir die Freude zu den Tanzveranstaltungen zu erhalten und anschließende Katerstimmungen zu ersparen, hielt ich mich auch bei den alkoholischen Getränken meist zurück.

Ein großes Problem war für mich war, dass mit den Jahren die Musik - weil technisch verstärkt - immer lauter wurde, der Bass über Geige und Klavier mehr und mehr die Oberhand gewann ... Man konnte sich seit den 1980ern während der Tanzveranstaltungen eigentlich nur noch schreiend unterhalten. Da mit dem aufkommenden Diskobetrieb auch die Kapellen-Erholungspausen wegfielen, dröhnte es dann den ganzen Abend über in den Ohren. Dieser Trend vor allem hat mir das Tanzen gehen seitdem ein wenig verdorben.
Aber vielleicht kommt es ja mal wieder anders, denn nichts ist bekanntlich so beständig wie der Wandel!


Lydia Radestock, im Oktober 2006
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