Autorundfahrt ins Elbtal und der 17. Juni 1953

Zu meinem 84.Geburtstag schenkte mir mein Enkel Jörg am 22. Juni eine Autorundfahrt in meinen Heimatort Praskowitz an der Elbe im Sudetenland.

Am 21. Juni wurde ich gegen 16.00 Uhr von meiner Wohnung in Neue Mühle von ihm, seiner Freundin Ly und ihrem Söhnchen Toni abgeholt.

Zuerst ging es nach Dresden zu meinem Enkel Hannes, denn er wollte mir einmal seine Studenten-Wohnung zeigen, welche sich hoch oben in der 8.Etage befindet..
Zu meinem Glück war ein Fahrstuhl vorhanden. Von dort oben ist eine wunderschöne Aussicht über Dresden möglich.

Anschließend besuchten wir die Großeltern meiner beiden Enkel in der Dresdener Frankenberg-Straße.
Dort wurden wir und Hannes mit einem Abendbrot bewirtet und anschließend war ein Fußballspiel im Fernsehen zu sehen. Der Opa wollte gern einmal mit Jörg Schach spielen, aber Jörg hatte ein Problem mit Lys PC zu erledigen und musste auch noch Hannes wieder in seine Wohnung zurück fahren.



Am nächsten Tag sollte nach dem Frühstück die große Rundfahrt in meine alte Heimat beginnen.
Jörg besuchte mit Ly und Toni vorher noch den Opa im Schrebergarten.
Es war ein sehr heißer Tag geworden - die Klimaanlage im Auto und das Zielsuchprogramm (wie das Ding genau heißt, weiß ich nicht) ermöglichte uns trotzdem eine angenehme Fahrt.

Um in der Tschechei auf der Autobahn und auf der Schnellstraße fahren zu können, musste Jörg an der Grenze erst für 10.00 Euro eine Plakette kaufen.

Zuerst ging die Fahrt auf der Autobahn bis nach Aussig an der Elbe. Dann fuhren wir über die Brücke an der Elbe entlang unter der Schreckensteiner Burg vorbei bis Birnai, wo meine Mutter einst in der Nähe der Kapelle in einem Bauernhaus geboren wurde.

In Sebusein grüßte das Dubitzer Kirchlein vom Berg herab, und darunter war auf der anderen Elbseite der Ort Salesel zu sehen. An verschiedenen Stellen parkte Jörg, damit ich mir alles in Ruhe alles ansehen konnte.

Dann erblickte ich bei schönstem Sonnenschein schon meinen Heimatort Praskowitz auf der anderen Elbeseite drüben. Man konnte alles gut erkennen - so sind zur Zeit auf unserem ehemaligem Obstbaumfeld wieder die Kirschen vom letzten erhalten gebliebenem Kirschbaum reif!

Der Berg Kubatschke und der halb abgetragenen Debus mit seinen Halden davor waren auch gut zu sehen. In Fahrtrichtung grüßten uns der der Skalln (die Bömische Pforte) mit der Elbe und der Lobosch mit dem Gibitschken.
In Libochowan fuhren wir dann bis zur Elbe, um hinüber nach Praskowitz zu schauen.

Es war schon ein eigenartiges Gefühl für mich, wieder einmal durch das Elbetal, meine schöne Heimat, zu fahren.
Viele Jugenderinnerungen kamen mir in den Sinn, und Jörg fuhr so, dass ich mir alles in Ruhe ansehen konnte.

Unsere Fahrt ging nun weiter unter der Kamaiker Burg entlang nach Leitmeritz. In Kameik hatten einst meiner Großmutters Eltern eine große Bauernhochzeit geplant. Das Brautpaar wurde auf dieser Straße mit einer Kutsche in eine Leitmeritzer Kirche zur Trauung gefahren. Bei der Hinfahrt hatte der Bräutigam einen Hitzschlag erlitten und war tot. Acht Monate später wurde die Großmutter geboren und musste nun ohne Vater aufwachsen.

In Leitmeritz fuhren wir über den mit Blumen geschmückten Marktplatz. Die meisten Häuser sind dort inzwischen renoviert worden. An einer Terrasse vor einem Hotel saßen etliche Leute, um Kaffee zu trinken oder zu essen. Als wir einmal kurz ausgestiegen waren, hörten wir bekannte deutsche Laute von älteren Leuten, welche offensichtlich ebenfalls die alte Heimat besuchten.

Über die Leitmeritzer Elbebrücke ging es dann weiter nach Lobositz. Dort holten sich mein Enkel und Ly im Kaufcenter für die Weiterfahrt Getränke und Obst.

Hinter Lobositz fuhren wir auf der Schnellstraße die Elbe entlang durch die Böhmische Pforte. Von da aus konnte ich nun Praskowitz an der Elbe wieder erblicken - sogar die große Linde vor der Kirche war zu erkennen!
In Lichtowitz bogen wir von dieser Schnellstraße ab und weiter ging es auf der alten Landstraße nach Praskowitz.

Dort angekommen fuhren wir zuerst die Straße hoch, in der einst unser Hof war und das Haus mit Ställen und Scheune stand. Jetzt ist dort ein Lagerplatz für Baumaterialien.
Anschließend ging es den Dorfplatz hinab zur Kirche. Ich wollte doch am Kirchplatz einmal nach der großen Linde sehen - sie ist inzwischen noch umfangreicher geworden.
Reichelts Haus und die Pfarrei sind renoviert. Angeblich soll dort jetzt ein Altersheim entstehen. Die Friedhofsmauer und die Kirche sind ebenfall renoviert. Von hier aus machte ich noch einen Blick nach Libochowan, zum Skalln und zum Lobosch. Dabei knipste ich für mich noch etliche Erinnerungsfotos.
Den Dorfplatz hoch, wo rechts und links noch immer Linden und darunter Bänke stehen, ging es dann auf der Straße an der Schule vorbei zum Dorfausgang neben dem Kreuz auf der alten Landstraße in Richtung Salesel.
Immer wieder kamen mir hier Jugenderinnerungen in den Sinn.

Am Bahnübergang der Bahnlinie Dresden - Prag in der Nähe unseres Kirschfeldes ging es jetzt auf der neuen Schnellstraße an der Elbe weiter bis nach Herrnskretschen.
Während ich vor einer Gaststätte auf der Terrasse bei einer Selter wartete, weil ich durch diesen erlebnisreichen Tag an dem noch sehr warmen Spätnachmittag nicht mehr weiter laufen konnte, besuchten Jörg, Ly und Toni den Vietnamesen-Markt vor der Grenze. Ly kaufte dem Jörg zwei Sonnenbrillen als Andenken.

Nachdem wir nochmals das Auto mit Sprit aufgetankt hatten, ging es weiter in Richtung Dresden. Da sagte Jörg zu mir: "Omi ich zeige Dir in Rathen auf der Bastei die Elbe auch noch von oben! Ich fahre Dich so nahe, wie ich kann, heran an die Bastei-Gaststätte, und komme Dir auch zum Heimweg wieder entgegen gefahren".
Es war dann eine sehr schöne Aussicht in die Sächsische Schweiz von da oben. Sogar ein vollbesetzter Dampfer der Weißen Flotte war auf der Elbe in Richtung Dresden fahrend zu sehen - Blasmusik klang zu uns empor.

Nun ging die Fahrt weiter bis nach Dresden - dort zeigte uns der Jörg noch die Frauenkirche. Beim Anblick dieser inzwischen renovierten Kirche und der vielen sonntäglich gekleideten Menschen, welche auf dem Vorplatz umherspazierten, musste ich 55 Jahre zurück an die Zeit vom 17. Juni 1953 denken.
Damals war ich in Dresden/Radebeul zu Besuch bei meinen Schwiegereltern, und wir hatten uns vor der Frauenkirchenruine verabredet, weil wir an diesem Tag in Dresden eine Besorgung erledigen wollten.
Plötzlich begann eine Demonstration auf diesem Platz, und dann kamen aus verschiedenen Straßen Russen-Panzer gefahren, deren Besatzungen in die Luft schossen. Etliche Demonstranten wurden eingekesselt und verhaftet.
Meine Schwiegermutter und ich mit meinem anderthalb jährigen Sohn Klaus, welcher im Sportwagen saß, wussten vorher nichts von dem Aufruhr in der Stadt (es gab ja noch kein Fernsehen).
Wir machten, dass wir wegkamen, und es gelang uns, noch eine Straßenbahn in Richtung Radebeul zu erreichen.

So kam es, dass dieser Tag für mich eine doppelte Erinnerung an schöne und schreckliche Zeiten brachte, die ich auch an meinen Enkel und seine Familie weitergeben konnte!
Ich möchte mich bei Jörg ganz herzlich für diese wunderbare Fahrt bedanken. Damit hat er mir eine große Freude bereitet.

Lydia Radestock, im Juni 2008

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